Mittwoch, 28. März 2007

“Doi Moi” sei Dank

Vietnam wurde in die Welthandelsorganisation aufgenommen. Seit 1990 hat die sozialistische Republik enorme Veränderungen durchlebt.

Am 7. November war es soweit. Gebannt saßen in den vietnamesischen Großstädten viele Menschen vor den Fernsehern und verfolgten die Abendnachrichten, um den zwanzigminütigen Sonderbericht über den Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation (WTO) zu sehen. Für viele Vietnamesen ist die erwartete Aufnahme in die WTO eine Art Anerkennung für die Aufbauleistung ihres Landes. Bereits 1954 prophezeite der kommunistische Staatsgründer Ho Chi Minh, dass sein Land jeder internationalen Wirtschaftsorganisation unter Federführung der UNO beitreten werde.

Der Weg der Sozialistischen Republik Vietnam zum Freihandel war steinig und entbehrungsreich. Bis Ende der 1980er Jahre regierte im Land eine streng kontrollierte Planwirtschaft nach dem Vorbild der frühen Sowjetunion. Erst schwere Dürren und folgende Hungersnöte zwangen die Machthaber in Hanoi zum Umdenken. 1990 entschlossen sie sich zur marktwirtschaftlichen Liberalisierung, genannt Doi Moi.

Ähnlich wie zwölf Jahre zuvor in China begann die Regierung, Staatsbetriebe zu privatisieren und zu restrukturieren. Die Folge war ein eindrucksvolles Wachstum, das schon bald „Tiger“ wie Thailand, Malaysia und Südkorea überholte. Heute wächst in Asien nur noch China schneller.

„Ich hoffe sehr, dass 2006 ein Wendepunkt für unser Land sein wird. In zehn Jahren schon könnten wir ein Schwergewicht sein“, sagt Le Dang Doanh, führender Wirtschaftsberater der Regierung. Westliche Analysten halten dies durchaus für möglich. „Wir messen dem WTO-Beitritt eine große Bedeutung bei, ist es doch ein wesentlicher Schritt für Vietnams Eingliederung in die globale Wirtschaftstruktur“, glaubt Vizepremier Pham Gia Khiem. Als Gewinner der Entwicklung gelten gut ausgebildete, junge Städter wie zum Beispiel Chemiker oder Physiker, die bis zu dreimal im Jahr ihren Arbeitgeber wechseln – mit immer besseren Löhnen.

Die Verlierer der globalen Marktöffnung sind die unteren Gesellschaftsschichten. Vietnamesische Kleinbauern können kaum mit billiger Importware aus dem Ausland konkurrieren. Schon hat sich Australien das Recht von der Regierung geholt, überflüssiges Rindfleisch nach Vietnam zu exportieren. Das Fleisch ist nicht nur billiger, sondern auch hochwertiger, da die Viehzucht im entwickelten Australien technologisch viel weiter ist.

Demografen erwarten eine enorme Landflucht, die das Land bisher in Grenzen halten konnte. Angestellte in den unproduktiven Staatsbetrieben dürften ebenfalls Probleme bekommen, neue Jobs zu finden, wenn ausländische Unternehmen hier ihre Betriebe öffnen.

Gefahren bestehen jedoch nicht nur für Bauern und Geringverdiener. Das ganze Wirtschaftsystem des Landes steht vor einer schweren Aufgabe. Unternehmen in Dienstleistung, Stahl- und Autoproduktion werden es nicht leicht haben, mit effizienten und oft schlankeren internationalen Konkurrenten aus den USA, Europa und Japan mitzuhalten.

Ähnlich wie China hat zudem auch Vietnam schwer mit Korruption zu kämpfen. So musste die Regierung jüngst ein Autobahnprojekt stoppen, als Gerüchte über Bestechung und illegale Sportwetten Wellen bis in höchste Kreise des Transportministeriums zogen.

Vietnam hat seit 1990 enorme Veränderungen durchlebt. War das Land vorher noch kaum in der Lage, sein eigenes Volk zu ernähren, ist es heute nach Thailand der größte Reis-Exporteur der Welt, außerdem Weltmarktführer im Export von Pfeffer und Zweiter bei der Ausfuhr von im Westen sehr beliebten Cashew-Kernen und Kaffee. Exporte in die USA wachsen gar schneller als die Chinas und sind dabei neunmal so hoch wie Importe aus den Vereinigten Staaten – Vietnam verbucht mit allen wichtigen Handelspartnern deutliche Handelsüberschüsse.

Entsprechend geht bei den Großen die Angst vor dem kleinen Land um, im Volksmund „Bambusstab mit zwei Reisschalen“ genannt. Der US-Kongress weigert sich etwa bis dato, dem Land einen Status der dauerhaften normalen Handelsbeziehungen zu gewähren (Permanent Normal Trade Relations, PNTR). Einige amerikanische Bundesstaaten wissen schlicht, dass ihre Textilbranche keine Chance gegen günstigere und nahezu ähnlich hochwertige Ware aus Vietnam hätte. Auch die EU verhängte jüngst einen Strafzoll von zehn Prozent auf vietnamesische Schuhe.

Humanitär hat das Land ebenfalls Beachtliches vollbracht. Der Anteil der Menschen unter der absoluten Armutsgrenze (Einkommen von weniger als einem Dollar pro Tag) schrumpfte von 51 Prozent 1990 auf acht Prozent im vergangenen Jahr. Eine Leistung, die weder China noch Indien erbringen konnten. Mehr als drei Fünftel der 84 Millionen Vietnamesen sind jünger als 27 Jahre alt. Sie sind jung, motiviert, nicht extrem religiös und leben in einem stabilen Land. Ein Traum jedes Investors. Schon diversifizieren sie Ihre Unternehmen auch nach Vietnam, Intel etwa plant derzeit den Bau zweier Ableger. Experten zufolge ist es nur eine Frage der Zeit, bis Vietnam Chinas Textilindustrie überflügelt. Chinesische Unternehmer wandern bereits nach Vietnam ab – immerhin sind hier die Löhne nochmals um 20 Prozent niedriger als im eigenen Land.

© ZEIT online 11.11.2006 - 19:35 Uhr

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